In gewisser Weise läuft in unserer Gesellschaft seit Jahren ein Antifragilitätstraining, das uns auch riesige Krisen besser bewältigen lassen könnte. Ich meine damit den Trend zur Patchwork-Familie.
Ich habe seit 24 Jahren Erfahrung mit Patchwork. Vor fast zweieinhalb Jahrzehnten heiratete ich eine Frau, die Patchwork bereits lebte. Sie hatte einen 12- und einen 14-jährigen Sohn, ich einen einjährigen. Für mich war Patchwork zunächst unvorstellbar. Frei nach Christian Morgenstern: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“, gab es in meiner Familie niemanden, der in dieser Familienkonstellation lebte.
Mittlerweile bin ich mitten im Patchwork angekommen. Mein Sohn ist erwachsen, mit meinen beiden Töchtern lebe ich wieder in einer solchen Konstellation. Das gleiche gilt für meine derzeitige Partnerin, die ebenfalls zwei Kinder aus einer Vorbeziehung hat.
Heute sehe ich neben all den riesen Herausforderungen, die Patchwork für alle Beteiligte bringt auch die positiven Aspekte. Vor allem aber bin ich dankbar für die Nähe zu meinen Kindern, die ich in unterschiedlichen Patchwork-Konstellationen großgezogen habe.
Erst muss man das Nadelöhr durchwandern…
Patchwork ist zweifelsohne komplexer als die traditionelle Kernfamilie. Neue Partner und Partnerinnen kommen zur ursprünglichen Kleinfamilie dazu. Sie bringen eventuell eigene Kinder mit, die natürlich auch zum anderen Elternteil Kontakt halten. Dann gibt es noch neue, zusätzliche Großeltern, Onkel, Tanten und wer sich sonst noch zur Familie zugehörig fühlt. Jeder dieser Menschen hat eigene Vorstellungen und ein eigenes Wertesystem.
Auf ´s erste betrachtet hat das natürlich viele Vorteile für die betroffenen Kinder: zweimal Weihnachten feiern, zweimal Geburtstag haben, zweimal auf Sommerurlaub fahren,… Auf ´s erste betrachtet gibt es aber auch einen gravierenden Nachteil: Das Kind wechselt ständig die Welten und Bezugsrahmen für die geltenden Werte – je nachdem, bei welchem Elternteil es sich aktuell befindet. Das Ganze ist oft auch noch emotional hoch belastet.
… dann kommen die Geschenke eines kompletteren Bildes
Erst auf den zweiten Blick beinhaltet diese Konstellation auch Chancen. Die Kinder lernen, dass es nicht nur eine richtige Familienwelt gibt sondern mehrere. Sie wechseln quasi ständig die Welten und dieser Wechsel erweitert ihren Blick. Sie lernen mit dem Risiko umzugehen, dass es andere Sichtweisen als die eine gewohnte gibt. Und das macht toleranter – zunächst im eigenen Familiensystem, später dann auch in der eigenen Gesellschaft und anderen Kulturen gegenüber.
In diesem Prozess sollten sich auch die beteiligten Erwachsenen dem Risiko der anderen Sichtweise aussetzen, ihren Horizont erweitern und zunehmend mehr Toleranz entwickeln. Aber das ist für die Großen mitunter noch schwieriger als für die Kleinen. Denn es waren Gefühle, die die ehemaligen Partner auseinander getrieben haben. Dabei wären gerade sie jetzt als Vorbilder gefragt, um es ihren Kindern leichter zu machen, das Risiko der anderen Welt zu wagen.
Es ist ein Nadelöhr, eng zugezogen durch Emotionen. Da muss man durch. Dabei hilft es, wenn man die eigenen Gefühle gut trainiert hat. Bei Yi betreiben wir ein Bewegungstraining, das hilft, Gefühle zu balancieren. Derart trainiert, können wir es wagen, das Risiko der anderen Sichtweise zu wagen. Und nach dem Nadelöhr, das weiß ich aus 24-jähriger Erfahrung, kommt die Bereicherung durch die anderen Familienwelten.
Hans Endmaya ist Gründer des Yi-Sinnhelden-Zentrums und Finder des Yi-8ermodells